Ausstellungsdokumentation // 22.05. – 20.06.2021
PHOTOGRAPHIE ODER DIE KUNST, SEHENDEN AUGES IN DER WELT ZU SEIN.
Im Kosmos von Andreas Weinand steht am Anfang nicht das Wort. Zunächst sagen Bilder mehr als tausend Worte, denn am Anfang steht das Sehen, die Photographie, die ihn durch das Leben im Hier und Jetzt navigiert. Existenz und künstlerisches Wirken sind bei Andreas Weinand untrennbar miteinander verbunden und ein kontinuierlicher Entwicklungsprozess. Über das Medium der Photographie erlangt er Kenntnis über das eigene Selbst, wird sich seiner Entwicklung als Mensch bewusst und findet so auch letztlich zur Sprache. „Indem ich über den Prozess des Photographierens Erfahrungen mache, mich quasi ganz tief in ein Thema hineinschraube, lerne ich, begreife Zusammenhänge und entwickle eine visuelle Erzählstruktur, die diesen Erfahrungsprozess kommuniziert.“
Themen denkt er sich nicht aus, sie kommen zu ihm. Ideen existieren zunächst als Gefühl. „Ich nehme Menschen und Situationen intuitiv, auf einer vorsprachlichen Ebene wahr. Ich sehe und erkenne die Bedeutung einer Begegnung,ohne meine Eindrücke direkt in Worte fassen zu können.“ Erst durch die langjährige Beschäftigung mit einem Thema wächst Andreas Weinand in seine Projekte hinein. Mit den gemachten Erfahrungen, mit Zeit und Geduld, reift sein Bewusstsein darüber, wie er die jeweilige Arbeit realisieren kann, wie er inhaltliche Schwerpunkte mit prägnanten Bildern visualisiert. Auch wenn sich die Stilmittel und die Technik in den Arbeiten mit der Zeit verändert haben, bleibt die Photographie bei Andreas Weinand ein Schlüssel zum Ausdruck: Sich selbst finden, sich mit Kunst ausdrücken, Bilder erschaffen, die aus der Seele sprechen. Er bildet seine subjektive Perspektive ab, aber im „Spannungsfeld von Wir und Ich“ berührt Andreas Weinand immer wieder existentielle Themen von universeller und zeitloser Bedeutung. Im Mittelpunkt seiner Arbeit steht die Suche des Menschen nach Individualität.
Anknüpfend an seine Gefühle als Kind beginnt er noch während des Studiums an der Essener Folkwangschule (damals GHS Universität Gesamthochschule), Kinder bei Volksfesten und gesellschaftlichen Ereignissen in Situationen zu photographieren, in die er sich anhand eigener Erfahrungen gut hineinversetzen kann. Auch bei der viel beachteten Serie Colossal Youth, in der er sich mit den Augen eines Erwachsenen an das Thema der Adoleszenz mit ihren Irrungen und Wirrungen herantastet, ist ihm das Lebensgefühl seiner Protagonisten aus der eigenen Jugendzeit noch sehr wohl bekannt. Nach der sehr intensiven Auseinandersetzung mit der Intimität anderer Personen, reflektiert Andreas Weinand in Wie in einen Spiegel schauen dann schließlich auch sich selbst und seine eigenen Befindlichkeiten.
The Good Earth ist eine ermutigende Auseinandersetzung mit dem Alter und eine Arbeit über das Verhältnis des Menschen zur Natur. The Good Earth ist ein Acker an der Stadtgrenze von Essen und Mülheim. Im Sommer 1998 entdeckten Andreas Weinand und seine Frau diesen Ort per Zufall. „Das war das pure Glück.“ Dazu steht im Vorwort seines gleichnamigen Buches. „Wir machten einen Spaziergang und schlugen einen Weg ein, den wir noch nicht kannten. Zwischen Pferdekoppel und Wohnhäusern. Der Weg wurde zum Pfad. Plötzlich standen wir vor einem Treibhaus mit einer Bank. Der Ort war fantastisch. Vor uns lag eine Wiese mit Schafen, hinter uns das Treibhaus mit vielen Tomaten und neben uns der Garten.“ Nach einiger Zeit lernten die beiden auch die Senioren kennen, die auf diesem Acker ökologische Landschwirtschaft betrieben. Nachdem er in der ersten Zeit nur dorthin fuhr, um das Gemüse zu kaufen, begann Andreas Weinand irgendwann auch zu photographieren. Über mehrere Jahre hinweg begleitete er mit seiner Kamera Margret, Walter und Erwin. Drei Menschen, die ihren Lebensabend damit verbrachten, ihrem Bedürfnis zu folgen,um im Zyklus der Jahreszeiten ihr Feld zu bestellen. „Fünf Jahre lang erlebt er, wie gepflügt, gepflanzt, gepflegt und geerntet wird, wie Tiere geboren werden und verenden, wie Wetterlagen, Tages- und Jahreszeiten das Licht, die Luft, den Boden, die Pflanzen – einfach alles – durchdringen und verändern.“ (Buchbeschreibung Hannes Wanderer)
„Irgendwann habe ich begriffen, wie vielschichtig und elementar die Erlebnisse sind und habe erkannt, dass ich an einem Thema arbeite, das wirklich relevant und einzigartig ist. Die Zeit auf dem Acker hat mich selbst beglückt und die Thematik ist für die Gesellschaft als Ganzes von Bedeutung.“ War Andreas Weinand bei The Good Earth noch ein Betrachter, fotografiert er nun in seiner aktuellen Arbeit Sonnenfeld mittlerweile selber aus der Perspektive des Gärtners. „Im Garten handle ich selbst, bin Akteur und photographiere aus dem gärtnerischen Handeln heraus was ich sehe, was mich begeistert und erzähle eine Geschichte deren Entwicklung ich lebe.“
Ausstellungsdokumentation // 22.05. – 20.06.2021
Andreas Weinand (geb. 1958 in Rheine/Westfalen) lebt als Fotokünstler in Berlin. Er studierte Fotografie an der GHS Essen (Folkwang). In seinen ebenso persönlichen wie realistischen Bildern berührt er wesentliche Fragen unseres Lebens. Sein von großer Empathie getragenes Werk erforscht Prozesse der Identitätsbildung und reflektiert das Verhältnis des Einzelnen zur Gesellschaft.
Seine Arbeit ist in umfangreichen internationalen Ausstellugen wie dem Brandts Museet for Fotokunst (Odense, Dänemark), Contretype (Brüssel, Belgien), Gallery 44 (Toronto, Kanada),
Gallery Fotoimage (St. Petersburg, Russland), Matèria Gallery (Rom, Italien) und dem Museum
für Photographie Braunschweig ausgestellt worden. Seine Fotografie ist in öffentlichen Sammlungen wie dem Bauhaus Archiv, Dessau; dem Brandts Museet for Fotokunst, Odense; Contretype, Brüssel; dem Ruhrlandmuseum und dem Museum Folkwang, Essen vertreten.
Text: Bernadette Jansen & Andreas Weinand
Mehr Informationen über den Künstler: www.andreasweinand.de