Nathalie Mohadjer im Fotoraum Köln

 

© Nathalie Mohadjer, Ronald im Hausflur 2010

Nathalie Mohadjer
Zwei Bier für Haiti
02.11. – 16.12.2018
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Eröffnung
Freitag, 02.November 2018 ab 20 Uhr
Performance und Sound von Marie-Claire Delarber (Baumusik)

»Als im Januar 2010 ein Erdbeben Haiti erschütterte, startete Margitta, Bewohnerin des Obdachlosenheims, den Spendenaufruf „Zwei Bier für Haiti“ unter ihren Nachbarn. Jeder Bewohner solle zwei Bier weniger an einem Tag trinken. Insgesamt kamen 15 Eurozusammen.« Nathalie Mohadjer

Sozioökonomische Entwicklungen, ein veränderter Wohnungsmarkt, ein persönlicher Schicksalsschlag oder ein Bruch in der Biografie: Obdachlos wird man nicht einfach so.
Die Zahl der Menschen in Deutschland, die im Freien oder in Notunterkünften leben, da sie über keine feste Bleibe verfügen, steigt stetig. Wie viele Menschen in Deutschland keine Wohnung haben, weiß niemand genau. Oft geht der Obdachlosigkeit eine lange, meist tragische Geschichte voraus. Und wer auf eine Notunterkunft angewiesen ist, hat oft nur noch wenige Perspektiven im Leben.

Nathalie Mohadjer hat in ausführlichen Gesprächen mit den Bewohnern eines Obdachlosenheims in Weimar viele dieser Einzelschicksale zu hören bekommen. 2006 besuchte sie das erste Mal das Heim, welches wie viele solcher Einrichtungen in der Peripherie angesiedelt wurde. Im Gegensatz zu Notunterkünften, in denen man nur nachts ein Dach über dem Kopf hat und tagsüber wieder auf die Straße muss, besteht die Unterkunft in Weimar aus Apartments, in denen man dauerhaft leben kann und sich den Wohnraum mit anderen teilt. Die Einrichtung bietet den Bewohnern zwar Sicherheit und Schutz, aber gleichzeitig ist es auch ein Leben in einer Parallelwelt am Rande der Stadt, von gesellschaftlicher Teilhabe ausgeschlossen. Dem Teufelskreis, als Randgruppe stigmatisiert zu werden und herausgedrängt zu sein, begegnen die Bewohner oft mit einem Mix aus beißend scharfem Humor und Alkoholkonsum. Nathalie Mohadjer beschloss, die Bewohner der Einrichtung in Weimar besser kennenzulernen und ihr Leben über mehrere Monate hinweg fotografisch zu dokumentieren. Nach und nach öffneten sich die Bewohner ihrer Besucherin.
Mit gleicher Lichtstimmung durch zusätzlichen Blitz, präziser Bildaufteilung, viel Sinn für Farben, Linienführung und Details erschuf Nathalie Mohadjer einen einheitlichen ästhetischen Rahmen, um die Bewohner in ihren Räumen zu porträtieren. Mit dem Ziel auch ihre individuellen Lebenswelten zu erfassen, dokumentierte sie ergänzend deren persönlichen Alltagsgegenstände und Wohninterieurs. Die Fotografien zeigen dabei auch die Ambivalenz der Lebenswirklichkeit im Obdachlosenheim auf, einem „Ort der Ausgrenzung, Asyl, Zelle, und zugleich Obdach, Zuflucht, Gemeinschaft“ (Emanuele Quinz).

Oft wirken die Räume geschlossen und Gardinen versperren den Blick nach außen. Sobald ein Fenster aber als „anthropologische Grundkonstante“ (Rolf Selbmann) des behausten Menschen den Blick in die Natur oder den Himmel freigibt, wird die Schnittstelle zwischen Innen- und Außenwelt noch einmal besonders deutlich.
»Mit einem Gespür für behutsame Inszenierung und stille Gesten erzählt Nathalie Mohadjer über Freude und Schmerz, höchste Ausgelassenheit und tiefste Verzweiflung in einem Obdachlosenheim in Weimar.« (Silke Opitz, Kehrer Verlag)

(Text: Fotoraum Köln, Bernadette Jansen)

Nathalie Mohadjer wurde 1979 in Kassel geboren und lebt in Paris.
„Zwei Bier für Haiti“ wurde in Weimar von 2006 bis 2011 analog fotografiert (Kodak NC 135) und besteht aus insgesamt 52 Fotografien, Fine Art Lightjet Prints (zwischen 20 x 13 cm bis 150 x 100 cm). Das Fotobuch „Zwei Bier für Haiti“ ist 2013 im Kehrer Verlag erschienen.

2014 silver winner of german Photobook Award
2012 Magnum Expression Award shortlist
2011 Abisag Tüllmann Prize, Germany
2011 special mention, City of Levallois-Epson Photography Award, france
2010 VG-Bildkunst funding, Germany
2009 Lauréat Visa de L`ANI, France
2008 DAAD arts scholarship, Germany

https://www.nathaliemohadjer.com/

 

Marie-Claire Delarber

 

Marie-Claire Delarber (Baumusik) nutzt Text und Musik, Gesten und Geräusche sowie Fragmente der Popkultur um sich selbst in einem subjektiv geschilderten Coming of Age-Thriller zu inszenieren. Von der Entdeckung eigener Intimität und Verletzlichkeit bis hin zum öffentlich- politischen Statement lotet sie die Grenzen zwischen Geschlechterklischee und Geschlechteridentität aus. Durch das freie Experimentieren mit Soundtechnologien und den dazugehörigen Maschinen verschafft sie sich die Möglichkeit, starre Narrative von Herrschendem (Produzent) und Beherrschtem (elektronische Software und Equipment) außer Kraft zu setzen. Ihre Tracks schaffen einen Raum, um den hartnäckigen Gender-Dualismus, der dieser Formation eingeschrieben ist (Paul Théberge, Tara Rodgers), zu überwinden.

Öffnungszeiten der Ausstellung: Sonntags 15-18 Uhr.
Finissage: 16. Dezember, 15-18 Uhr